Saturday, February 24, 2007

Kirche in Afrika

Diese Überschrift ist bewusst etwas provokant formuliert, denn natürlich lässt sich Kirche nicht pauschal für alle afrikanischen Länder beschreiben – manche sind total vom Christentum / Katholizismus geprägt und andere fast ausschließlich moslemisch. Trotzdem ist ein Funke Wahrheit dran, denn „Kirche in Afrika“ weicht von „Kirche in Europa“ allein schon durch die Mentalität der Afrikaner sehr voneinander ab.
Mali ist auf dem Papier ein vornehmlich moslemisch geprägtes Land (zw. 92-98%), aber eigentlich in der Realität noch immer sehr bestimmt von Naturreligionen und Aberglauben. So wie hier jeder seinen Schneider hat, hat auch so ziemlich jeder seinen „Marabu“ = Zauberer, ganz im Ernst! Aber trotzdem oder gerade deswegen leben die 1% Christen, die es hier gibt, ihren Glauben auf eine unglaublich faszinierende und lebendige Art und Weise.
Um euch eine etwas anschaulichere und weniger theoretische Beschreibung zu geben, hier an dieser Stelle für euch mal eine Kurzbeschreibung des Aschermittwochsgottesdienstes, der diese Woche war: Als wir zur Tür reinkommen finden Luci und ich beim ersten Hingucken keinen Platz mehr – die Leute sitzen schon so gedrängt auf den Bänken, dass man sich fragt, wo man da noch dazwischen passen soll!? Nach ein bisschen schieben, rücken und rutschen finden aber auf wundersame Art und Weise doch irgendwie noch viel mehr Leute als man angenommen hätte Schulter an Schulter gedrängt ein Plätzchen auf der Sitzbank ;) Das ist total normal – die Kirchen sind zu allen Messen (abgesehnen von denen um 6 Uhr morgens) echt super-gut gefüllt, zum Teil rappelvoll! Alle hatten wie wir zur Kommunionausteilung dann feststellten aber wohl doch keinen Sitzplatz mehr bekommen, denn ein Kommunionausteiler ging dann während des Gottesdienstes ganz selbstverständlich nach draußen, um die Massen, die vor der Tür den Gottesdienst im Stehen mitverfolgten zu versorgen :) Unvorstellbar! Und wie geht der Gottesdienst los? Meistens mit einer Mischung von Brocken auf Bambara und Französisch (das eine Gebet auf Bambara, die nächste Lesung auf Französisch – die Predigt manchmal auf beiden Sprachen… Total flexibel!) und mit afrikanischer Musik – alle feierlichen Gottesdienste werden von Chören gestaltet, das ist ganz selbstverständlich! Es wird getanzt, Kinder dürfen herumlaufen und singen und klatschen, Babies werden nebenher gestillt, die Musik ist lebendig und strahlt wahnsinnig viel Freude aus und animiert die Leute dazu, sich zu bewegen. Es wird geklatscht, getrommelt, alle denkbaren Instrumente kommen in verschiedenen Gottesdiensten vor und und und… Nicht zu vergleichen mit den doch schon meist sehr steifen katholischen Messen in Deutschland! (Außer CE / KHG :) ) Echt genial! Und trotzdem hat man nicht das Gefühl, dass Gott in dem Tohubawohu zu kurz käme, ER ist im Mittelpunkt und der Gottesdienst ist sehr feierlich! Da hat man wirklich das Gefühl, dass der Geist Gottes zugegen ist und Freude schenkt!
UND: Eine wahre Gemeinschaft! Es gibt keine Trennung zwischen verschiedenen christlichen Gruppierungen. Sehr schnell, schon nach ein paar Wochen, fiel mir auf, dass man – egal zu welchem Gottesdienst und in welche Kirche man fährt – wenn im „christlichen Milieu“ was los ist, immer wieder die gleichen Leute wiedertrifft. Die gesamte Christenheit der Stadt hat ein total starkes Zusammengehörigkeitsgefühl. Das ist wirklich faszinierend und etwas, was mir in Deutschland so noch nie begegnet ist. Es gibt auch die Trennung „charismatisch oder nicht“ überhaupt nicht. Jeder stinknormale Gottesdienst ist in dem Sinne charismatisch!

Zwei total schöne Dinge noch zum Abschluss meines Versuchs, euch ein lebendiges Bild von „Kirche in Afrika“ zu vermitteln. Erstens, die Messintentionen: In Deutschland gedenken wir Herrn Müller, der am Freitag verstorben ist und feiern eine Messe für die Familie Meier, die um den toten Großvater trauert, um es mal etwas spitz zu formulieren. Und hier? „Heute feiern wir die Messe in Dankbarkeit für die glückliche Geburt von Kind X und das neue Leben, was Baby Y letzte Woche durch die Taufe geschenkt wurde. Wir feiern die Eheschließung von A und B und gedenken der Heilung von Frau Z von ihrer jahrelangen Krankheit… Außerdem hat Gott der Familie C eine wunderbare Gebetserhörung geschenkt!“ Merkt ihr den Unterschied ;) Das strahlt Freude und Leben aus, sag ich euch! Unbeschreiblich *freu*
Und noch ein zweites cooles Beispiel: In der Predigt am Sonntag ging es um die Liebe Gottes (ja mal ganz was Neues *schmunzel*) und der Priester fragt am Ende seiner Predigt, ob es denn mal wen gäbe, der kurz spontan nach vorne ans Mikrofon kommen würde, um ein konkretes Beispiel aus seinem Leben zu geben, wo er/sie diese Liebe Gottes zu seinem Nächsten gelebt hat. Unvorstellbar bei uns, oder? Also ist ein Mann spontan aufgestanden und hat ein Zeugnis aus seinem Leben gegeben: Darüber, wie er einem moslemischen Nachbarn Zucker geschenkt hat, und sogar obwohl derjenige es komisch fand und sich nicht richtig gefreut/bedankt hat, noch ein zweites Mal im Jahr darauf hingegangen ist, zur gleichen Zeit im Jahr, und der Moslem beim zweiten Mal total berührt war von der Beharrlichkeit dieses Christen in dem Wunsch, dem Nachbarn Gottes Liebe in dieser kleinen Geste weiterzugeben! Krass, oder? Und das sind doch so schöne und ermunternde Geschichten, wie wir sie alle im Alltag erleben, aber in Deutschland behält man sie schön für sich … Hier wird wirklich geteilt!!! Glaube geteilt und Liebe und überhaupt, was man hat! :)


Foto: Der Präsident :)

Noch ein Wort dazu, dass die Kirche hier vor Ort auch entwicklungshilfemäßig einiges bewirkt: Neulich war ich bei der Einweihung eines Krankenhauses, welches von einer italienischen kirchlichen Organisation innerhalb von 3 Monaten in Bamako aufgebaut wurde. Da kam sogar der Präsident und ich konnte ihn live von nur 10 Metern Entfernung aus erleben *hihi*. Die Einweihung hat mit einem Gottesdienst im Freien begonnen, die Leute standen, saßen, an allen Ecken und es haben mindestens 10 Priester die Messe zelebriert (nicht so unüblich – im Dom ist das oft so!). Das sind natürlich tolle Projekte, Krankenhäuser zu bauen etc…





Fotos: Zwei Bilder von einer gut gefüllten Messe unter freiem Himmel... Die bei der Einweihung des Krankenhauses!

Wenn ich zurückkomme, muss ich euch unbedingt Videos von „ganz normalen“ Gottesdiensten zeigen, dann könnt ihr euch hoffentlich noch mehr unter der Lebendigkeit vorstellen, mit der hier der Glaube gelebt ist, und die man natürlich nur schwer in Worte fassen kann… Die, die hier unter den 1% Christen sind, die sind WIRKLCH Christen, in allen Facetten, im Gottesdienst genauso wie in der Gemeinschaft und im Alltag! Faszinierend!

Die Gemeinschaft


Foto: Das Haus, wo ich lebe...

Bevor der eigentliche Kirchen-Teil kommt, noch ein paar Worte zu der Gemeinschaft, in der ich hier lebe. Ich wohne in einem Haus der katholischen Gemeinschaft der Seligpreisungen (www.beatitudes.org); sie wurde ursprünglich in Frankreich gegründet, und mittlerweile haben sie Projekte und Häuser auf der ganzen Welt. Wen die Entstehungsgeschichte oder weitere Details (zu) der Gemeinschaft interessieren, der möge bitte im Internet nachlesen, denn damit will ich jetzt nicht alle Leser „quälen“ :) In der Kurzfassung ist die Gemeinschaft katholisch, charismatisch ausgerichtet, umfasst sowohl geweihte (Ordensbrüder/-schwester/Priester), als auch Familien – das ist einer der spannenden Aspekte, dass hier Menschen aus so verschiedenen Lebensständen zusammen leben –, die Liturgie spielt eine starke Rolle, es wird in allen Häusern von der Vorsehung (Spenden, also in „Armut“) gelebt, und Elemente aus dem Judentum (z.B. der Feier des Shabbat) fließen mit ein. Mich hat die Gemeinschaft schon lange sehr fasziniert!



Fotos: Zwei Fotos, die die Freude in der Gemeinschaft widerspiegeln... Bei der Shabbatfeier :)

Jedes Haus hat ein so genanntes Apostolat. In Mali gibt es insgesamt nur dieses eine Haus und das Apostolat sind eben die Mädchen, um die sich hier gekümmert wird und von denen ich ja schon in einem Extra-Blog/Mail erzählt habe.
Wie viele in einem Haus der Gemeinschaft der Seligpreisungen leben variiert. Zu diesem konkreten Haus: Hier leben zwei Familien, mit jeweils 2 Kindern zwischen eins und fünf und eine Mutter mit ihrem 16-jährigen Sohn. Dann drei geweihte Ordensschwestern und drei (z.T. noch?) nicht geweihte Gemeinschaftsmitglieder, plus dann eben Luci und mir! Also insgesamt 18 Leute, wie eine große Familie eigentlich und der Umgang mit jedem einzelnen von ihnen bereichert mich sehr ;)


Foto: Ich mit den drei Kids der Gemeinschaft; Marie-Jeanne trägt sogar ein T-shirt aus Deutschland :)

Hinzu kommen natürlich die Mädchen, aber die leben nicht den (katholischen) Gemeinschaftsrhythmus mit. Was umfasst der?
Das spirituelle (Alltags-)Leben eines jeden Gemeinschaftsmitglieds wird ausgemacht durch eine tägliche Messe, eine Stunde zum Bibellesen, einer Stunde Anbetung vorm Allerheiligsten, und einer Laudes am Morgen und Vesper am Abend. Dazwischen wird dann eben gearbeitet – wie in einem großen Haushalt, entweder in der Küche, in der Wäscherei, Putzen, oder aber auch in Zusammenhang mit dem Apostolat (es gibt auch Häuser die geben eine Zeitung heraus o.ä.). Ich lebe hier weitestgehend den Gemeinschaftsrhythmus mit, das bedeutet im Groben sieht ein ganz normaler Tagesplan ohne besondere Vorkommnisse (wie z.B. Geburten *schmunzel*) wie folgt aus:
6:00 Laudes gefolgt von der Messe
7:30 Frühstück
8:00 Die Mädels/ Babies versorgen oder/und Zeit zum Bibellesen
10:00 Eine Stunde Anbetung
11:00 Irgendeine Arbeit die ansteht (Wäsche, Putzen, …)
12:00 Rosenkranz
12:30 Essen
14:00 Siesta
etwa 15:30 Mädels noch mal versorgen, Milch austeilen etc.
16:00 variiert: Tagesprogramm (z.B. Chorprobe, Lehre, Tanz, …)
18:00 Vesper
19:00 Noch ein letztes Mal die Mädels und Babies versorgen, Medikamente verteilen
19:30 Abendessen


Foto: Noeli mit dem kleinen Theophor, zwei süße Gemeinschaftsmitglieder :)
Ihr seht, dass mein Tagesablauf also schon sehr gemeinschaftsgeprägt und durchsetzt von geistlichen Elementen ist; das ist mir sehr wichtig :) Ich spüre schon, dass ich viel mehr Zeit mit dem Herrn verbringe als zu Hause, weil das einfach ganz selbstverständlich in den Tagesplan integriert ist. Echt super!

Emmanuel geht



Das kleine Baby, um das wir uns gekümmert haben, weil seine Mutter gestorben ist – er ist jetzt weg (siehe Abschiedsfoto). Am Samstag [jetzt wo ich den Blog hochstelle schon ein paar Wochen her] hat er uns verlassen – natürlich typisch afrikanisch ohne Vorwarnung. Glücklicherweise konnte er von einer Frau aus der Familie des Vaters aufgenommen werden. Die Frau und der Mann standen dann eben einfach plötzlich Samstag früh auf der Matte, natürlich nicht angekündigt. Es war schon traurig, ihn gehen zu lassen, aber es ist auch super, dass er jetzt eine Familie hat! Die Arbeit mit den Babies und Mädels ist seitdem echt schneller erledigt, kein wickeln, baden, etc von unserem kleinen Zögling mehr! Deswegen war die letzte Zeit auch was das betrifft viel ruhiger!