Monday, March 5, 2007

WAHR ODER FALSCH? Traditionen, Bräuche, Gewohnheiten, Typisches...

(1) Schönheit / Mode etc. spielt in Afrika nicht so eine große Rolle!?

Falsch! Wohin man sieht schöne Stoffe aus denen die edelsten Kleider geschneidert werden, und kunstvolle Frisuren wohin man auch blickt...




Fotos: Frisuren und Kleidung in der Kirche und bei den (auch ganz kleinen) Mädels

Wer also bisher geglaubt hat, in Afrika sei alles „einfach“ und es käme nicht so darauf an, wie man herumläuft, der hat sich getäuscht: Mit Flecken auf dem T-Shirt und ungebügelter Kleidung laufen nur die Europäer herum, die denken, in Afrika kommt es ja nicht so drauf an ;) Von den ganz armen Bettlern abgesehen haben die Afrikaner ein sehr eigenes und die gesamte Gesellschaft durchdringendes Schönheitsideal: Bei Frauen zählen dazu die kunstvoll geflochten Frisuren (diese kleinen geflochtenen Zöpfe, in allen Mustern und Formen, die man sich vorstellen kann – die lässt man mehrere Tage/Wochen so...). Die seht ihr auf ganz vielen Fotos im Internet. Diese Frisuren zu flechten, damit werden hier Stunden zugebracht; selbst die kleinsten Kinder müssen stillhalten und schon „gestylt“ werden, ob sie wollen oder nicht. Dafür lässt man sie auch mal eine halbe Stunde schreien... Das gehört zur Schönheit wirklich dazu! Viele Frauen tragen auch oft verschiedene Arten von Perücken, um mal statt kräuseligen glatte Haare zu haben… Ein ganz normaler Anblick also, die Frauen mit Kunsthaar und Perücken! Hier ein Foto von der kleinen Ivette mit Perücke und Ohrensteckern :)



Neben den Haaren und den Ohrlöchern, die allen Mädels mit 2 Wochen gestochen werden müssen, fällt wie schon gesagt wirklich die Kleidung auf – individuelle Schnitte, nicht wie bei uns alles fertig im Laden gekauft. Fast jeder hat seinen eigenen Schneider und lässt sich die Kleidung und typisch malischen Kostüme aus wunderschönen Stoffen schneidern...



Ihr seht ein Foto von Jaqueline und Freddy in ihren typisch afrikanischen Gewändern sowie von „meinem“ Schneider :)



Eine Geschichte für sich! Seine Frau mit einjährigem Sohn ist im Senegal. Telefonieren ist wenn er Glück hat einmal die Woche möglich...

(2) Die Afrikaner sind viel offener als Europäer!?

Und da ist mir die Überleitung ungewollt gelungen – denn, ja, das stimmt, das ist ein tolles „feature“ (Merkmal) der Afrikaner, man kommt sehr leicht und nett und unkompliziert überall mit Leuten ins Gespräch, zum Beispiel eben mit dem Schneider um die Ecke. Alle sind viel offener und interessiert an den Lebensgeschichten der anderen; auf der Straße grüßt man sich usw. Luci und ich haben mal drüber geredet, dass man sich in Deutschland genervt fühlen würde, ständig mit so vielen Leuten zu reden und „angequatscht“ zu werden – aber hier geschieht das auf so eine ehrliche und natürliche Art und Weise, die wirklich herzlich ist und überhaupt nicht aufdringlich (wenn dann liegt das daran, dass wir Weiße sind und natürlich viel Geld haben müssen!!!). Das Gespräch mit dem einfachen Schneider von gegenüber, mit dem ich über „Altes Testament versus Koran“, und über seinen Sohn Abraham, von dem er mir stolz Fotos gezeigt hat, geredet habe, das war wirklich dieser afrikanischen Offenheit zu verdanken.

(3) Kurzentschlossenheit und Spontaneität sind ausgesprochen afrikanische Merkmale!?

Leider nein ;) Manchmal kann das „Gesprächige“ und die Ruhe der Afrikaner dann nämlich auch ausarten – es wird um jedes Detail diskutiert und erstmal übertrieben gesagt „bei jedem Problem im Kreise der Familie beraten“. Es gibt dann Situationen, in denen wir Europäer uns ein bisschen den Blick für das, was jetzt gerade am Dringendsten ist, herbeisehnen und die Geduld für lange Diskussionen verlieren. Zum Beispiel wenn ein Mädel in Presswehen am Auto darauf wartet, dass wir mit den nötigen Utensilien ins Krankenhaus fahren :) Aber auch dann wird seelenruhig noch darüber diskutiert, wer denn jetzt zuständig ist dieses oder jenes Utensil für die Entbindung noch herzusuchen, und ob das eine oder das andere denn jetzt auch wirklich nötig ist usw. :)

(4) Alle Dinge werden in Afrika auf dem Kopf transportiert!?



Naja, das ist natürlich etwas pauschal gesprochen, aber es stimmt schon fast immer, mit einer Ausnahme: Die Babies:



Egal wie klein oder groß und ungeachtet der orthopädischen Folgen, sie werden immer auf dem Rücken getragen, in genau der typischen Haltung, die ihr auf dem Foto seht. Die Frauen tragen ihre Babies oft den ganzen Tag so herum (selbst schon größere schwere Kleinkinder!), denn nur so können sie gleichzeitig arbeiten! Dieser Anblick wird mir wirklich fehlen, jede zweite Frau, die einem auf der Straße begegnet, hat ein Baby auf dem Rücken...
Aber die meisten anderen Dinge tragen – vor allem die Frauen – wirklich auf dem Kopf. Es ist unvorstellbar, was sie da alles transportieren, wie es viele bewerkstelligen, selbst sperrige und/oder sehr schwere Dinge elegant auf dem Kopf zu balancieren (Fotos!). Noch so ein Anblick der Normalität für mich geworden ist!



(5) Das Gesundheitssystem ist in Mali vorbildlich!?

Auf der einen Seite „ja“: Mali ist ein Vorreiterland für viele andere afrikanische Länder und es fängt langsam an, dass in der Gesellschaft das Bewusstsein für Krankenversicherungen usw. durchsickert. Aber natürlich hängt die Antwort von den Maßstäben ab, die man setzt. Im Vergleich zu Europa und in Bezug auf die einfache Bevölkerung lautet die Antwort eher „nein“: Wo wir doch gerade beim „auf dem Kopf transportieren“ waren: Viele Frauen laufen z.B. mit einer kleinen Apotheke auf dem Kopf am Straßenrand herum, und verkaufen so „Medikamente“. Das ist natürlich keine gute Gesundheitsversorgung. Abgesehen davon, dass diese Frauen keine Ausbildung genossen haben, um sagen zu können, was man bei welcher Krankheit für eine Behandlung / für ein Medikament braucht, muss man auch sagen, dass ein großer Teil der einfacheren Bevölkerung den Zusammenhang zwischen dem Einnehmen einer Tablette und den möglichen positiven Langzeitfolgen oder Auswirkungen auf eine Krankheit / ihre Gesundheit überhaupt noch nicht verstanden haben! Das sehe ich besonders hier bei unseren Mädels: Es ist schwer ihnen zu erklären, dass manche Medikamente gut für sie sind (z.B. Eisen um die Geburt herum), obwohl sie gar nicht krank sind – oder auch, dass sie ein Antibiotikum wirklich 10 Tage lang nehmen müssen, obwohl es ihnen doch nach 2 Tagen schon wieder gut geht und sie jetzt in ihren Augen kein Medikament mehr brauchen.



Aber der Staat setzt sich wirklich für ein besseres Gesundheitsverständnis ein: Man findet mittlerweile z.B. Plakate, die davon abraten die Medikamente von der Straße zu kaufen (sie Foto): „Les médicaments de la rue, ça tue“ (Die Medikamente der Straße sind tödlich!). Aber das Lesen dieses Plakats bietet die geeignete Überleitung zum nächsten Punkt:

(6) Mali ist noch sehr von der mündlichen Kultur geprägt!?

Absolut richtig! Abgesehen davon, dass viele noch nicht einmal lesen können, fällt auch im Umgang mit gut gebildeten Leuten auf, dass die afrikanische Angewohnheit, alles (so wie es früher war) auf mündlichem Weg weiterzugeben, noch in ihnen steckt. Das kann positive und negative Auswirkungen haben und schlägt sich echt in alltäglichen Dingen nieder. Zum einen können die Afrikaner sich glaube ich echt besser Dinge merken, die ihnen einfach einmal gesagt/ mündlich erklärt werden. Sie brauchen kein „Rezept“ zum kochen oder eine „schriftliche Anleitung“ für irgendein Gerät... Aber auf der anderen Seite muss im Krankenhaus auch auf die Packung ein Symbol (in Form von Strichen) gezeichnet werden, damit die Leute wissen, wie oft und wann am Tag sie ihr Medikament nehmen sollen. Packungsbeilagen oder Rezepte werden in der Form wie bei uns, also schriftlich eigentlich gar nicht ausgehändigt. Die Mädels kriegen ihre Tabletten immer abgezählt in kleinen Tütchen :)

(7) Im praktischen Alltag hat die Modernisierung in Mali schon längst Fuß gefasst!?

Ja und nein! ;) Handys auf der Straße und Autos – oh ja, keine Frage! Ein Wahnsinnsverkehr! Der ständig wiederkehrende Herzstillstand im Straßenverkehr wird mir nicht unbedingt fehlen – ich bringe ihm im letzten Blog, dann müsst ihr euch keine Sorgen mehr machen aber der Verkehr ist hier echt lebensgefährlich und Gurte gibt’s natürlich nicht. Zur Veranschaulichung ein Foto vom Stadtbus :)



Die Autos die hier fahren, sind die, die in Deutschland nicht mehr zugelassen sind und billig nach Afrika verkauft werden ;) Luci – die mutig wie sie ist hier auch Auto fährt, sagt zu Recht, man lernt hier die Präzision, denn – kein Witz – beim Fahren geht es um Zentimeter!!!! Aber das ist ja eigentlich nicht die Aussage dieses Abschnittes… Was ich sagen will: Ja, die modernen Fahrzeuge oder modernen Techniken gibt es natürlich hier in Afrika auch, aber oft merkt man daran, wie mit ihnen umgegangen wird (z.T. verantwortungslos oder gefährlich), dass sie (in) eine(r) ganz andere(n) Gesellschaft verankert / aufgesetzt wurden als bei uns... Das ist die „Kluft“ mit der man konfrontiert ist.
Als Gegensatz ein cooles Bild, was die Mädels beim Waschen zeigt – und nicht nur die Mädels sondern so gut wie ALLE waschen hier so...



Wo ist da die Technik fragt man sich: Seife, große Waschkübel – das ganze oft am Straßenrand oder im Fluss. Die Seife wird auch für alles andere verwendet, für das Waschen der Kinder und das dreckige Geschirr ;P Kein Witz! Und die Bassins oder Eimer, in denen das geschieht: Alle in so zweifarbigen Plastik-Muster – siehe Bild von Lucia! Das ist MALI :)



(8) Die Afrikaner sind viel weniger produktiv als wir *hihi* !?

Man glaubt es kaum, aber eine schöne Tradition der Afrikaner wird mir auch fehlen: Die Mittagspause oder besser: Siesta :) Wirklich nach dem Mittagessen ist erstmal keine Arbeit angesagt, und es wird meistens richtig Mittagsschlaf gemacht. Man sollte meinen, das sind alles faule Leute hier, aber ne – ich muss als eher produktive Persönlichkeit gestehen, dass man die Pause bei den Temperaturen und dem Klima hier total nötig hat einmal am Tag! So ungerne wie ich so eine „unproduktive“ Zeit am Tag angenommen habe, so schnell habe ich einsehen müssen, dass man bei diesem Klima nicht weit ohne kommt. Die Hitze und Trockenheit macht einen echt gerade gegen Mittag fertig… Ich habe mich schon echt schön dran gewöhnt, mitten am Tag einmal richtig faul zu sein *schmunzel* Aber natürlich ist die Überschrift nicht richtig… extra etwas provokant formuliert *grins*

(9) Kann ich wirklich nach zwei Monaten was über die wahren Traditionen, Bräuche, die Kultur der Afrikaner hier im Lande sagen?

Ehrlich gesagt: Nein! Wenn ich ehrlich bin reichen zwei Monate nicht aus um behaupten zu können, dass ich richtig verstehe, was die Kultur und die Menschen hier in Mali ausmacht. Es ist keine Frage: Die Zeit hat mich sehr bereichert und ich habe viel über die Menschen hier erfahren und auch Teile ihrer Kultur kennen gelernt. Aber um richtig „einzutauchen“, um ihr Denken wirklich zu verstehen, bräuchte man ganz sicher Jahre – wenn das überhaupt möglich ist! Das ist immerhin eine wichtige Erkenntnis! Und es ist absolut nicht entmutigend – ich kann jedem nur empfehlen eine solche Reise mal zu machen, wenn er / sie die Gelegenheit dazu hat! Man sollte sich eben nur nicht der Illusion hingeben, man kommt als „Fremder“ her und hat sich ohne sich umzusehen in eine neue Kultur eingelebt bzw. vollstes Verständnis für sie entwickelt. Auch in den letzten Tagen merke ich noch, wie viele Dinge es zu entdecken gibt und wie oft ich noch „ins Fettnäpfchen trete“, weil ich nicht weiß, wie Dinge hier gehandhabt werden, wie über Dinge gedacht wird, was die Gewohnheiten sind usw. Das ist aber für mich gleichzeitig auch das schöne, was die Vielfalt der Menschen und Kulturen widerspiegelt! Die Menschheit ist so komplex und faszinierend, nur Gott kann sie wirklich verstehen!